Schülerschreck Mathematik
von Manfred Zürcher
Komplexe
Zahlen
Eine Zahl mit sich selbst zu
multiplizieren, nennt man quadrieren. Also die Rechnung 3 x 3 = 9, bedeutet 3 zu
quadrieren. Es gibt auch den umgekehrten Vorgang, den man "eine Wurzel
ziehen" nennt. Man geht von der Zahl 9 aus und fragt, welche Zahl, mit sich
selbst multipliziert, ergibt 9? Antwort: 3 ! Die Zahl 3 ist die Wurzel der Zahl
9. Wie lautet die Wurzel aus 25? Richtig: 5. Alles ganz einfach.
Aber: Es gibt Zahlen. bei
denen geht das nicht so einfach. So bei den negativen Zahlen. Zahlen also, die
ein Minuszeichen davor haben, -9 zum Beispiel. Wie lautet die Wurzel aus -9 ?
Das scheint nur ganz einfach zu sein: -3 ! Falsch!! Denn (-3) x (-3) ergibt (+9)
und nicht wie gefordert (-9) ! Wie man auch weiterdenkt, man findet keine Zahl,
deren Quadrat eine negative Zahl ergibt.
Also haben die Mathematiker
sich zum Schrecken aller Schüler neue Zahlen ausgedacht, nämlich die imaginären
Zahlen, und haben sie den bisherigen Zahlen, den reellen Zahlen, gegenübergestellt.
Imaginäre Zahlen werden mit einem "i" gekennzeichnet, also z.B. 3i.
Quadriert man eine imaginäre Zahl, dann ist das Ergebnis eine negative reelle
Zahl. Jetzt ist das Problem gelöst: 3i x 3i ergibt -9, oder umgekehrt: die
Wurzel aus -9 ist 3i. Eigentlich ganz einfach. Man muss nur erfinderisch sein.
Und das sind Mathematiker.
Damit nicht genug: Kombiniert
man imaginäre mit reellen Zahlen. erhält man komplexe Zahlen. (6i - 9) ist
eine komplexe Zahl, (-5i + 13) eine weitere. Und für komplexe Zahlen gelten die
normalen Regeln der Algebra, des Rechnens mit Buchstaben anstelle von Zahlen,
also (-a + b) oder (x - y). Alles ganz einfach, nicht wahr?
Die Gauß'sche Zahlenebene als Bildebene
Komplexe Zahlen sind
unanschaulich. Es war die Idee des Mathematikers Carl Friedrich Gauß (1788 -
1855), diese Zahlen in einem Koordinatensystem darzustellen. Dabei wird die
reelle Komponente einer komplexen Zahl auf der waagerechten Achse,
hingegen die imaginäre Komponente auf der senkrechten Achse dargestellt. Was
man sich also vorher abstrakt vorstellen musste, konnte man so als einen Punkt
in einer Ebene einzeichnen. Jede komplexe Zahl ist also ein Bildpunkt, oder
umgekehrt jeder Punkt eines Bildes kann so als eine komplexe Zahl interpretiert
werden.
Digitale Bilder, wie man sie
aus einem Scanner oder einer Digitalkamera erhält, setzen sich aus einzelnen,
meist farbigen Bildpunkten zusammen. Stellt man diese auf dem Bildschirm eines
Computers dar, nennt man sie Pixel. Da aber die Pixel eines digitalen Bildes
gleichzeitig auch als Punkte in der Gauß’schen Zahlenebene und somit als
komplexe Zahlen interpretiert werden können, kann man mit ihnen nach den Regeln
der Algebra rechnen, denn diese Regeln gelten auch für die komplexen Zahlen.
Umgekehrt kann man einen
Ausschnitt der Gauß’schen Zahlenebene als Bild ansehen, die Eigenschaften der
komplexen Zahlen dieses Ausschnittes ausrechnen und dann Punkt für Punkt als
verschieden farbige Bildpunkte zu einem Gesamtbild zusammensetzen.
Wie
aus der Anwendung einer Gleichung ein Bild entsteht
Ein Beispiel: Das Bild eines
Kreises wird bestimmt von seinem Mittelpunkt und seinem Radius. Dieses Bild
existiert schon seit Erschaffung der Welt. konnte also nicht erfunden, nicht
erdacht, sondern nur entdeckt werden.
Das erinnert an Pythagoras: So
lautet nämlich die Gleichung für einen Kreis im Ursprung des
Koordinatensystems mit dem Radius 1. Was der Mensch daran noch beeinflussen
kann. Ist die Farbe, mit der er den Kreisumfang darstellt. Das ist alles. Es
gibt weit kompliziertere Rechenanweisungen als die Kreisgleichung. Für die
meisten von uns weckt so etwas unangenehme Erinnerungen aus der Schulzeit, aber
wer in diese Welt eintaucht, in der Eigenschaften von Zahlen in Farbpunkte
umgesetzt werden, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Bilder von
unglaublicher Schönheit und verblüffender Symmetrie resultieren und machen ein
Reich wunderbarer und farbenprächtiger Harmonie sichtbar.
Man nehme also einen
Ausschnitt in der Gauß’schen Zahlenebene, was bedeutet, dass die Koordinaten
eines Punktes in diesem Ausschnitt ais komplexe Zahlen interpretiert werden.
Dann schickt man diese komplexen Zahlen Punkt für Punkt durch eine bestimmte
Gleichung – und das nicht nur einmal, sondern viele wiederholte Male, indem
man das Ergebnis der jeweils vorherigen Berechnung erneut in diese Gleichung
einsetzt und wiederum ein neues Ergebnis errechnet. Man nennt diese vielfache
Wiederholung Iteration.
Mit Hilfe der Iteration werden
die Eigenschaften aller Punkte sozusagen "herausgekitzelt" und Punkt für
Punkt festgehalten. Diese Eigenschaften werden dann in Farbe umgesetzt: gleiche
Eigenschaft => gleiche Farbe.
Der
Computer als Hilfsmittel zur Berechnung von Bildern in der Gauß'schen
Zahlenebene
Man kann das auch bequem von
Hand rechnen, wenn man alt genug wird: Ca. 3000 x 4000 Bildpunkte pro Bild,
verteilt auf 25 Teilbilder, die es noch zusammenzusetzen gilt, das mit komplexen
Zahlen. Auf 12 Stellen hinter dem Komma genau, und dieses wiederum pro Punkt
zwischen 400 und 4000 mal wiederholt. Das ergibt im schlimmsten Fall 3000 x 4000
x 4000 = 48 Milliarden Rechnungen, um dann, wenn man Pech hat, festzustellen,
dass das resultierende Bild doch nicht so interessant ist, wie man sich das
eigentlich gewünscht hatte.
Sorry, das dauert länger, als wir leben, also müssen Bill Gates & Co. helfen. Per Computer lassen sich in zwei Minuten zunächst einmal in vereinfachter Form, also mit weniger Bildpunkten, Proberechnungen anstellen, gezielte Korrekturen einsetzen und Optimierungen verschiedener Art erreichen. Wenn dann alles stimmt, wird das Bild dann mit allen Feinheiten durchgerechnet, was ungefähr eine Stunde Rechenzeit beansprucht. Das macht der Computer natürlich nicht von sich aus, sondern dahinter steckt eine entsprechend aufwendige Programmier- und Forschungsarbeit, die sich über Monate und Jahre erstreckt hat.
Es resultiert schließlich eine Bilddatei von ca. 50 MB , die dann ausgedruckt werden kann. Die Ausdrucke haben hier eine Größe von DIN A3 (minus einem Rand von 1 cm), können aber auf das Drei- bis Vierfache vergrößert werden, ohne dass einzelne Bildpunkte sichtbar werden. Bei einer solchen Vergrößerung werden weitere Details, die jetzt versteckt sind, sichtbar, wie wenn man eine Landkarte nicht einfach nur vergrößert, sondern in einem kleineren Maßstab darstellt.
© Manfred Zürcher